von Chris
Der legendäre Tough Guy sollte 2017 mit seinem 30. Jubiläum das letzte Mal stattfinden, da Mr. Mouse mittlerweile über 80 Lenze zählt und es ohne ihn einfach nicht der originale TG ist. Allerdings haben die Organisatoren die Rechnung ohne die Teilnehmer gemacht und nach vielen Bitten und Anfragen entschied sich Mr. Mouse, den TG 2019 wieder aufleben zu lassen. Sobald diese Ankündigung raus kam, war für mich klar, dass ich daran teilnehmen will. Wir reden hier schließlich vom Original, dem ersten Hindernislauf den es je gab und nach einhelliger Meinung von einem der härtesten weltweit. Nun, die ersten beiden Punkte sind Fakt, letzterer liegt wie immer im Auge des Betrachters, aber dazu später mehr.
Also, Ticket, Flug, Hotel und Mietwagen gebucht und schon konnten 11 Monate Vorfreude starten. Der Flug von München mit Lufthansa verlief problemlos, der Flughafen Birmingham ist eine knappe Stunde vom Veranstaltungsgelände entfernt und ein günstiges Hotel fand ich auf ungefähr halber Strecke. Aufgrund der Zeitverschiebung und des späten Starts um 11 Uhr, war ich recht zeitig am Gelände und konnte mir alles in Ruhe anschauen. Die Killing Fields sind absolut beeindruckend, einige „Monster“ von Hindernissen und viiieeeel Wasser ließen mich dann doch zweifeln, ob die Idee, hier zu starten, so gut war.
Die Registrierung war um die Uhrzeit leer und verlief völlig problemlos. Startnummer angeben, „Death Warrant“ (kein Scherz!) unterschreiben und man erhielt einen Umschlag, der 4 Sicherheitsnadeln und die Startnummer enthielt. Keep it simple scheint das unausgesprochene Motto des Laufes zu sein. Die Volunteers sind durchweg freundlich, hilfsbereit und zu Schwätzchen aufgelegt. An der Strecke sollten sie später auch fleißig anfeuern und Mut zusprechen. Sie wissen, was die Teilnehmer leisten und honorieren das entsprechend.
Dann kam schon das erste Highlight der Veranstaltung. Mr. Mouse höchstpersönlich war natürlich vor Ort, wie immer in seiner Uniform und auch er unterhält sich gern mit den Teilnehmern und steht jederzeit für Fotos und Handshakes zur Verfügung. Der Mann ist eine lebende Legende und es war mir eine Freude und riesige Ehre, ihm die Hand zu schütteln und für seine Pioniertätigkeit zu danken. Ohne ihn gäbe es vielleicht diesen tollen Sport nicht und allein dieses Treffen war die Anreise wert.
Mit der Zeit füllte sich langsam das Gelände und man spürte, wie die Anspannung stieg. Der Tag war bewölkt und das Thermometer sollte heute maximal 4°C anzeigen. Pünktlich zum Start zeigte sich kurz die Sonne, es sollte aber ihr einziger Auftritt heute sein. Dafür blies der Wind ordentlich und ließ uns schon vor dem Start frieren. Die Flaggen rauschten im Wind, irgendwo trommelt Jemand, Rauch stieg auf und man sah kaum noch Läufer lachen. Alle stimmten sich mental auf den Lauf ein, man konnte die Anspannung mittlerweile förmlich greifen. Die Outfits variierten von oberkörperfrei in kurzer Hose bis hin zum kompletten Neopren. Verkleidungen suchte man hingegen fast vergebens. Die Läufer nehmen das Event ernst, man weiß – oder glaubt zumindest zu wissen – was Einen erwartet.
Der Start erfolgt für die Welle „Front Squad“ (Veteranen mit 9+ Teilnahmen) vor einem kleinen Hügel, die „Tough Guy“ Welle (Jeder, der überhaupt schonmal dabei war) oben vom Hügel. Die Newbies wie ich stehen dahinter und müssen ihn erst noch erklimmen. Dann erfolgt der Startschuss mittels eines Kanonenschlags und das Race beginnt – jetzt gibt es kein Zurück mehr. Meine Taktik war, am Anfang Gas zu geben, um Boden gut zu machen. Ich wollte keinesfalls später bei den Hindernissen oder gar im Wasser im Stau stehen. Schnell überholte ich so die Masse der Läufer und konnte tatsächlich bis zum Schluss frei laufen. Erst nach ziemlich genau einem Kilometer sollte das erste kleine Hindernis kommen, ähnlich wie beim Getting Tough steigert man sich langsam bis zum großen Finale auf den Killing Fields. Man merkt auch deutlich, dass die Macher vom GTTR nicht nur das „Tough“ im Namen übernommen haben, es finden sich viele Ähnlichkeiten.
Immer wieder geht es einen eigentlich kleinen Hügel rauf und runter, später läuft man im Zickzack durch den Wald bis man nicht mehr weiß, in welche Richtung man eigentlich unterwegs ist. Das ist Trail Running at its best: Man muss einerseits weit voraus schauen, um die Streckenführung im Blick zu haben und den besten Weg durchs Dickicht zu finden. Gleichzeitig muss man die Äste direkt vor sich im Blick haben, damit sie einem nicht ins Gesicht oder gar die Augen schlagen. Und letztendlich muss man auch direkt vor sich auf den Boden schauen, damit man im unwegsamen Gelände nicht umknickt.
Am Ende des Laufes sollten meine Schuhe keinen Zentimeter Asphalt gesehen haben, es ging immer nur querfeldein. Herz, was willst du mehr?
Als es wieder aus dem Wald hinaus geht, läuft man zurück Richtung Start, zu den berühmten und gefürchteten Killing Fields. Vorher muss man durch Wassergräben durch, wieder eine kaum zählbare Anzahl – rein, durchs Wasser, raus und wieder von vorn. Das ist zermürbend und gibt nur einen Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Als ich endlich die Killing Fields erreiche, sind meine Füße bereits nur noch Eisblöcke. Aber hier gibt es noch mehr Wasser und viele weitere Hindernisse. Alle ausnahmslos aus Holz, mindestens so alt wie der Lauf an sich, teilweise morsch und geflickt und wenn Netze zum Klettern vorhanden sind, dann nicht nur eins sondern mehrere übereinander. Jedes Hindernis schreit dir ins Gesicht „Komm nur her, du wolltest es so!“. Die Geschichte ist hier greifbar, viele Tausende Läufer haben sie bezwungen, fast ebenso viele sind daran verzweifelt oder gar gescheitert.
Die Hindernisse sind einfach, technisch nicht wirklich anspruchsvoll aber dafür selbsterklärend. Man braucht keine ellenlange Anleitung vorher lesen sondern weiß auf Anhieb, was gefordert ist. Und wenn mal einfach nur ein Balken im Weg ist? Dann geht’s drüber. Oder drunter. Oder durch. Jeder wie er will, denn wieso sollte man auch vorschreiben, WIE ein Hindernis genommen werden soll? Hauptsache, man bezwingt es. So gefällt mir das, so soll ein Hindernislauf sein.
Irgendwann läuft man Richtung Ziel, soll es das schon gewesen sein oder ist das nur ein Psychospielchen? Natürlich letzteres, man biegt wieder ab und weiß nicht, wie groß die nächste Schleife wird. Dafür geht’s mal wieder ins Wasser, diesmal so richtig. Unter einem Baumstamm durch tauchen zum „warm“ werden. Kurz danach kommen 5 Stück direkt hintereinander. Die Kälte sticht direkt ins Gehirn, auch das kennt man vom GTTR. Als ich wieder aus dem Wasser raus komme, verliere ich kurz die Orientierung, schwanke und muss durchatmen. Nein, du kriegst mich nicht klein! Also weiter geht’s. Es kommt mehr Wasser, aber glücklicherweise muss man nur noch einmal komplett rein mit einem Sprung von einem Holzbalken.
Später geht’s in die „Chamber of Torture“, es ist dunkel und man kriecht zwischen Holzstäben durch. Anschließend kommt eine Röhre, lang und leicht abgewinkelt. Sie ist beim Einstieg also komplett dunkel, man weiß nicht wie lang sie ist oder ob man überhaupt jemals wieder raus kommt. Am Ende wird sie so schmal, dass man nicht mehr auf den Knien kriechen kann. Auf dem Bauch liegend robbt man vorwärts, jetzt nur keinen Krampf kriegen.
Viele weitere Hindernisse später geht’s dann irgendwann doch ins Ziel. Ein kleiner Sprung über einen Heuballen, die verdiente Medaille um den Hals und ab zur Umkleide und den Duschen. Auch hier ist alles einfach gehalten, es gibt keine „Marktschreier“, keine Zeitmessung oder Helden-Fotobox. Wer trotzdem will, lässt sich schnell einfach mitten in dieser Scheune fotografieren, warme Getränke und Kekse gibt’s neben der Umkleide (auch diese ist in einer Art Scheune, aber immerhin ist das Wasser warm).
Auffallend ist, dass kaum einer seine Erleichterung laut raus brüllt. Die Finisher sind geschafft, zittern vor Kälte und sind glücklich. Aber auf eine stille, demütige Art und Weise.
Ist dieser Lauf nun der Härteste der Welt? Diese Frage kann man meiner Meinung nach nicht beantworten – für keinen Lauf übrigens. Am Ende standen „nur“ 12,6km auf meiner Uhr, aber ich habe gute 2h dafür gebraucht. Beim GTTR ist meine Pace schneller und selbst beim Celtic Ultra Warrior (~50km) trotz viel Schnee ähnlich. Es kommt also eher darauf an, ob man mit dem kalten Wasser klar kommt und auch mit gefühllosen Eisfüßen noch laufen kann. Er verlangt den Teilnehmern auf jeden Fall körperlich und mental alles ab und steht dem GTTR sicherlich in nichts nach – aber so soll das mit Vorbildern ja auch sein.
Ich bin froh, dass der TG dieses Jahr wieder stattgefunden hat und ich diese Reise auf mich genommen habe. Es war eine Erfahrung, die ich nie missen möchte und nie wieder vergessen werde. Andere Rennen mögen lauter, länger, höher, technischer oder sonstwas sein. Aber der Tough Guy ist einmalig, er ist der Ursprung und vermutlich immer noch so, wie er vor 32 Jahren das erste Mal gewesen ist. Und das ist gut so. Meiner Meinung nach sollte ihn jeder überzeugte OCR’ler einmal im Leben mitgemacht haben. Um zu wissen, worauf es ankommt – und das ist weder die Medaille, noch das Finisher Foto oder die Likes in den sozialen Medien.